Sabine Offe
Welcome to Paradise
Der Titel klingt verheißungsvoll, aber auch irritierend. „Welcome to paradise“ – das könnte, vor allem in der englischen Version, statt als Verheißung eines Garten Edens auch als Werbespruch gelesen werden – stößt uns darauf, wie inflationär dieses Wort „Paradies“ tatsächlich verwendet wird in der Welt der Konsumgüterangebote: Ferienparadiese, Kauf-, Schuh- und Backparadiese. Eugenia Gortchakova provoziert mit dieser Irritation uns, als Besucher, sich die Frage zu stellen, die sie im Prozess der Arbeit zu dieser Ausstellung Freunden und Fremden gestellt hat: Was denken Sie bei dem Wort „Paradies“? Die wenigsten Antworten auf diese Frage verweisen auf eine spezifisch religiöse Vorstellung vom Paradies, wie es am Anfang der jüdischen und von den Christen übernom menen Schöpfungsgeschichte in der Bibel beschrieben ist. Zwar kommen Eden, Adam und Eva und auch ein angebissener Apfel vor, die meisten Befragten aber nen nen Vorstellungen, die eher als säkulare formuliert werden. Einige dieser Vorstellungen bezeichnen vergleichsweise verfügbare Paradiese, wie Strand, Gärtlein, Morgenfri sche, my wife, ja, sogar: la vie, das Leben – die meis ten jedoch verstehen unter Paradies „alles außer hier“: Befreiung, grenzenloser Frieden, Sorglosigkeit, nicht die Arbeit, Wärme – sind Zeichen für das, was nicht oder nur zeitweise zu haben ist, für das, was fehlt, für die Mängel unserer Welt und einzelner Leben. Abgegriffenes – und so könnte es erscheinen, läse man die assoziierten Wörter und die assoziierten Bilder der Befragten außerhalb dieses „Paradiesprojekts“ von Euge nia Gortchakova. Aber die Malerin hat diese Antworten in andere, in ihre Bilder eingeschrieben, zitiert sie nicht nur, sondern arbeitet mit ihnen. Es ist nicht überraschend, dass das Thema „Paradies“ sie als künstlerisches Projekt angezogen hat. Denn Paradies bezeichnet sowohl eine Zeit als auch einen Raum: Einen Raum jenseits des irdi schen, über den viel geschrieben und der in der Kunst immer wieder abgebildet wurde, und eine Zeit, die an den Anfang der Welt und der Gattung Mensch verlegt wird, die aber auch das Ende individuellen Lebens oder auch die Unendlichkeit einer als erlöst gedachten Exis tenz bezeichnen kann. Im alltäglicheren Sprachgebrauch kann „Paradies“ ebenfalls für etwas entweder räumlich oder zeitlich Fernliegendes stehen – Tahiti z.B., solange man dort noch nicht hinreisen konnte, oder die schöne Kinderzeit, die bekanntlich nie wiederkommt. Zeit-Räume sind ein wiederkehrendes Thema in Eugenia Gortchako vas Werk. Sie überträgt die Bewegung von Zeit auf die Fläche ihrer Bilder, nennt ihre Strahlen- oder Streifenbilder auch „Zeit Strukturen“, die Kreise für zyklische Wiederkehr und Linien für Unendlichkeit kombinieren. Diese Bilder erscheinen zunächst geradezu mathematisch abstrakt und regel haft, beherrscht von der überindividuellen Gesetzmäßig-keit dieser Strukturen, aber sie bilden auch ganz konkret die Spuren der Arbeitszeit, in der die Künstlerin sie malt. Sie sind also auch eine sehr individuelle Maßeinheit ihrer individuellen Lebenszeit. Strich für Strich, Sekunde für Sekunde, Minuten, Stunden, Tage schreibt sie sich ein in die Strukturen. Sie entwirft sie, indem sie ihnen folgt, sie eignet sie sich an, indem sie sich ihnen unterwirft. Das erzeugt die beunruhigende Spannung der Bilder, der sich die Betrachtenden ausgesetzt sehen: die fast abweisende Ferne einer Konstruktion, die alle Elemente auf eine Mitte hin ordnet oder als Parallelen, und die Nähe des Produktionsprozesses selbst, der sichtbar wird in kleinen Veränderungen von Farbigkeit und Dichte dieser Elemente. Die Beschränkung auf die selbstgewählte Vorgabe solcher Zeitstrukturen schließt Möglichkeiten aus und eröffnet doch Spielräume neuer Möglichkeiten.
E. Gortchakova entwirft mit ihren Bildern ihren eigenen Ort im Rahmen einer Tradition, auch einer kunsttheoretisch-programmatischen der Avantgarde, und sie führt sie damit fort, aber sie verändert sie, macht sie zu ihrem eigenen Lebenszeitprojekt. Beunruhigend sind diese Bilder auch, weil sie wie jede regelhafte Ordnung deren Gegensatz implizieren, eine Unordnung, ein Chaos, dem sie abgerungen werden, gegen das sie entworfen werden – ebenfalls programmatisch taucht bei Gortchakova das Wort „Disziplin“ auf.
Das Thema „Paradies“ bestätigt diese Subversion. Eugenia Gortchakova hat die Bilder, die andere, uns überwiegend unbekannte Personen vom Paradies haben, in ihre Bilder hineingeholt und bildet auch die Personen ab. Diese in ihre strengen Zeitstrukturen hineinmontierten Bilder wirken wie ein auch ironischer Einbruch der unübersichtlichen realen Welt in die wohlgeordnete ästhetische Komposition und Kombinatorik, wie der Einbruch des Zufälligen in die Logik der Strukturen. Und zugleich erzeugt die Reihung dieser individuellen Antworten und Personen wiederum eine eigene Struktur von stereotypen Bildern der Paradiesvorstellungen. Diese Paradiese, so ließe sich zusammenfassen, gibt es nur als Bilder – in den Köpfen der Befragten und in den Bildern von Eugenia Gortchakova.
„Welcome to Paradise“? Nur wenige der Befragten reden über die ungeheuerliche Zumutung, die das Paradies und die Frage danach darstellt. Denn die Geschichte des Paradieses ist nicht die von Stränden, Sorglosigkeit und Befreiung, wie sie aus den Antworten und Bildvorstellungen der Befragten erscheint. Die Geschichte des Paradieses ist vor allem die Geschichte von Sündenfall, Vertreibung und Verbannung des Menschen. Das Buch Genesis erzählt wenig vom Paradies, auch Widersprüchliches, wir erfahren etwas über die Bäume der Erkenntnis und des Lebens, über die böse List der Schlange, über die Verführbarkeit der ersten Menschen, trotz des göttlichen Verbots von der Frucht der Erkenntnis zu kosten, und über die göttliche Strafe, die verhindern soll, dass sie sich auch noch an der Frucht des Baumes vergreifen, die verhängt wird, kaum dass sie sich ihrer Existenz bewusst geworden sind, aus dem Paradies vertrieben zu werden. Ein Engel mit flammendem Schwert wacht darüber, dass das Paradies verschlossen bleibt. Erst der Verlust des Paradieses erzeugt die Bilder vom Paradies in der menschlichen Kunst und im menschlichen Vorstellungsvermögen, wunderschöne Bilder geschützter Gärten und Gewässer und friedlich beisammen lebender Löwen und Lämmer und Menschen.
Aber dieses Paradies bleibt unbewohnbar. Die Geschichte des Menschen beginnt nicht mit dem Paradies, sondern mit dem Exil, dem ersten, für die menschliche Gattung konstitutiven Exil Adams und Evas, dem schon in der Bibel weitere, individuelle und kollektive Exile folgen – mit den Wanderungen Kains, der knappen Rettung Noahs vor der Sintflut, den Aufbrüchen der Patriarchen von Abraham über Isaak zu Jakob zu Joseph zu Exodus. Die Ortsangaben zu den Personen, die E. Gortchakova auf ihre Frage geantwortet haben, lassen vermuten, dass sich hinter manchen der Orte ebenfalls ganz reale Exile verbergen, erzwungene oder selbstgewählte. Diese Seite des Paradieses kommt erst mit dem „Paradiesprojekt“ in Gortchakovas Bildern zur Darstellung. Das Paradies heißt uns mitnichten willkommen, es ist ein verlorener Ort. Verlorener Ort, lost space, ist denn auch der Titel eines Bildes, und es könnte auch der alternative und synonyme Titel des gesamten Projekts sein. Für die Exilgeschichte der Künstlerin selbst stehen hier zwei Orte, New York und Moskau: lost spaces.
„Paradies“ ist ein Ort und eine Zeit zwischen Erinnerung und Hoffnung, die wir für die Gegenwart brauchen. Nicht als falschen Trost, und nicht missbraucht für die Rechtfertigung von Elend oder für die Rechtfertigung von im Namen aller möglichen Paradiese erbrachter Opfer! Sondern um uns unserer befristeten Lebenszeit bewusst zu werden, der ständigen Gefährdung unserer Paradiessehnsüchte. Nicht die Nichtigkeit des Lebens folgt daraus, sondern, auch einer der programmatischen Sätze von Gortchakova, der Aufruf zur „celebration of life“.
Eugenia Gortchakovas Bilder geben dieser Feier des Lebens ihren Glanz. Es ist ein rätselhafter Glanz, der in allen ihren Bildern wie aus der Tiefe des Bildzentrums zu kommen scheint, ein Leuchten, das zugleich transparent und undurchdringlich ist, das über die Grenzen des Bildrands hinausdrängt, als wolle es den ganzen Raum füllen, und dennoch ganz zentriert bleibt im Mittelpunkt der Strahlenkreise.
Sabine Offe starts her essay with a reflection of the title of the project “Welcome to Paradise” which – besides its religious meaning – could also be an advertising slogan. The use of these words is inflationary. Eugenia Gortchakova has provocated people with the question “What do you think if you meet the word Paradise?” Only a few answers were concerned religious matters, most answers meant secular ideas as even “my wife” or “la vie”.
The painter has inscribed these answers into her pictures; she works with them, because paradise means a time in the beginning as well as a space on the other side of the world, the infinity of solved existence. Also in the non-religious language paradise can mean spaces or times, which are rather far away.
Sabine Offe describes the method of Eugenia Gortchakova’s work to transfer the movement of time into her pictures, which are called “Time-structures”. The results look mathematically abstract, dominated by a super individual lawfulness but the strokes also quite concretely show the working time of the artist. She outlines them by following them, she occupies them by submitting to them. This produces the disturbing restlessness of the paintings. The concentration of such time structures excludes possibilities and opens new rooms to move. Eugenia Gortchakova draws up with her pictures her own place within the tradition, also of a programmatically avant-garde of theories. The artist follows them but also changes them, makes them a life-project. The pictures are also disturbing because each order provokes the opposite.
The theme “paradise” confirms this subversion. Eugenia Gortchakova has put the persons who had answered to the questions into her compositions. They have the effect of an ironical break into the esthetical constructions. And at the same time this line of pictures has its own structure of stereotypes. It seems as if these paradises only exist in the heads of the people and in the pictures of Eugenia Gortchakova.
After a reflection about the religious problems of “paradise” Sabine Offe finishes her essay with the idea, that paradise is a space between remembrance and hope, which we need for the presence to see our limited lifetime, the permanent endangering of our wishes for paradises. From this one of the programmatical sentences of Eugenia Gortchakova follows: “Celebration of Life”. Her pictures give glow to this celebration, it is a mysterious shine coming from the centre, which is at the same time transparent and impenetrable, which passes the frames of the pictures and nevertheless is concentrated in the centre of the radiates.
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